- Wirtschaftswachstum: Hat das Wachstum Grenzen?
- Wirtschaftswachstum: Hat das Wachstum Grenzen?In diesem Abschnitt geht es um die in der einschlägigen Diskussion oft beschworenen »Grenzen des Wachstums«, die in dem gleichnamigen Bericht des Club of Rome aus dem Jahr 1972 erstmals thematisiert wurden. Das Fragezeichen in der Überschrift hat insofern seine Berechtigung, als auch die fundierten Meinungen zu diesem Thema extrem auseinander gehen. Im Folgenden werden die wesentlichen Konzepte und Streitpunkte genannt und ein eher optimistischer Schluss gezogen: Spezifische Grenzen mag es in vielen Bereichen geben, eine schlüssige Argumentation dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung in absehbarer Zeit stagnieren wird oder gar muss, gibt es jedoch nicht.Die »Nachhaltigkeit« wirtschaftlicher EntwicklungNachhaltigkeit ist zu einem Modewort in der wirtschaftspolitischen Diskussion geworden. Eingeführt wurde der Begriff im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter der Leitung von Gro Harlem Brundtlandt. Dieser wurde im Auftrag der UNO erstellt und 1987 vorgelegt.Sinngemäß versteht die Kommission unter Nachhaltigkeit, den »Bedürfnissen der heutigen Generationen solle entsprochen werden, ohne die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, zu schmälern«. Dieser Forderung ist schwerlich zu widersprechen — aber ebenso schwierig ist es, dieses Konzept zu konkretisieren und daraus klare Handlungsanweisungen abzuleiten. Sollen zukünftige Generationen das gleiche Konsumniveau wie heute haben können? Auf welchen Warenkorb sollte sich dies beziehen? Sollten Wachstumsmöglichkeiten wie in den vergangenen Jahrhunderten offen gehalten werden? Und wie sollten heutige Generationen dafür Sorge tragen? Oder konkreter: Beziehen sich die Möglichkeiten zukünftiger Generationen auf den Bestand an Sach-, Human- und Umweltkapital oder auf den Strom zukünftiger Produktion?Schon auf den ersten Blick wird deutlich: Auf diese Fragen sind völlig verschiedene Antworten möglich. Daher bleibt die Nachhaltigkeit weitgehend eine Leerformel — und ist vielleicht gerade deswegen so beliebt. Unbestritten ist jedoch zweierlei: Zum einen ist eine enge Definition weder praktikabel noch wünschenswert, nach der jede Generation die Erde so an die nächste Generation weiterzugeben hat, wie sie sie vorgefunden hat. Der von den alten Griechen gebrochene Marmor kann genauso wenig nochmals abgebaut werden wie die Kohleproduktion des letzten Jahres. Dennoch haben die Generationen der letzten 500 Jahre die Erde in einem Zustand hinterlassen, die den jeweiligen Kindern einen größeren Wohlstand ermöglichte. Andererseits sind durchaus anthropogene Einflüsse vorstellbar, die das Leben zukünftiger Generationen massiv einschränken oder sogar verhindern — man denke nur an das immer noch vorhandene atomare Zerstörungspotenzial. Zwischen diesen beiden Extremen liegt eine sehr breite Grauzone, in der weder von einem naturwissenschaftlichen noch von einem ökonomischen Standpunkt her klar ist, welche Auswirkungen konkrete Verhaltensweisen für die Möglichkeiten zukünftiger Generationen überhaupt haben.Die Substituierbarkeit von RessourcenAus ökonomischer Sicht kann die Frage nach den Grenzen des Wachstums eher optimistisch beantwortet werden: Selbst wenn heute tatsächlich alle Kohlevorkommen geplündert wären, würden die Eisenbahnen vermutlich noch verkehren, weil inzwischen Energieträger zur Verfügung stehen, die sich unsere Vorfahren noch nicht einmal vorstellen konnten. Mit anderen Worten: Selbst wenn nichterneuerbare Ressourcen knapp werden oder völlig geplündert sind, bedeutet dies keineswegs zwingend das Ende von Wohlstand oder Wachstum, sondern es setzt die Suche nach Substituten ein, die es ermöglichen, ohne die knappe Ressource (oder mit weniger davon) auszukommen.So können die im Verhältnis zur wachsenden Bevölkerung knapper werdenden Agrarflächen durch bessere Methoden des Anbaus und der Nutzpflanzenzüchtung in der Landwirtschaft ausgeglichen, fossile Energieträger durch Atom-, Solar- oder Windenergie ersetzt und Kunststoffe anstelle von Stahl oder Aluminium eingesetzt werden. Selbst die vom Aussterben bedrohten Tiger könnten ihr zukünftiges Überleben der Erfindung des potenzsteigernden Medikaments verdanken, das in Deutschland unter dem Namen Viagra verkauft wird. Dies soll keineswegs nur als erheiterndes Beispiel dienen, sondern wird von Tierschützern als konkrete Option angedacht.Wenn nichterneuerbare Ressourcen ersetzt werden sollen, dann gehört hierzu auch die Vorstellung, auf diese Ressourcen völlig verzichten zu können. Daneben aber gibt es noch zwei weitere Optionen: Zum einen können entsprechende Vorkommen eines Rohstoffs auch in Zukunft durch andere und effektivere Methoden gefunden und abgebaut werden, zum anderen kann durch effizienteren Gebrauch ein bestimmter Nutzen aus einer geringeren Quantität einer Ressource gezogen werden. Dadurch erklärt sich beispielsweise, dass die bekannten und wirtschaftlich abbaubaren Erdölreserven 1950 noch das 22fache eines Weltjahresverbrauchs betrugen, trotz des danach erst richtig einsetzenden Autobooms 1990 jedoch auf das 45fache des (aktuellen) Jahresverbrauchs ansteigen konnten. Trotz eines in dieser Zeit enorm gewachsenen Verbrauchs hat sich dieses Reservemaß also mehr als verdoppelt.Die Sorge um die Verfügbarkeit nichterneuerbarer oder auch nur nicht schnell erneuerbarer Ressourcen ist wahrscheinlich kaum jünger als die Menschheit selbst. Jedenfalls findet sich schon im Alten Testament ein Kodex für den Umgang mit natürlichen Ressourcen. So steht im 5. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 19: »Wenn du vor einer Stadt lange Zeit liegen musst, gegen die du kämpfst, um sie zu erobern, so sollst du ihre Bäume nicht verderben und mit Äxten umhauen, denn du kannst davon essen; darum sollst du sie nicht fällen.«Jenseits von biblischen Verhaltensregeln hat sich die Ökonomik aber auch damit befasst, wie sich ein rein am Eigennutz orientierter Eigentümer einer nichterneuerbaren Ressource bei deren Abbau verhalten würde. Die intuitiv vielleicht nahe liegende Antwort, den Abbau möglichst rasch erfolgen zu lassen, stellt sich dabei als falsch heraus. Solch ein Vorgehen würde das wohlverstandene Interesse des Eigentümers nicht berücksichtigen, einfach weil ein Abbau und Verkaufserlös heute einen Abbau morgen ausschließt. Unter sehr vereinfachenden Annahmen wie keine Abbaukosten, bekanntes endliches Vorkommen ohne Möglichkeiten weiterer Entdeckungen und über die Zeit konstante Preisabhängigkeit der Nachfrage nach der Ressource, lässt sich zeigen, dass der Preis mit der Rate des Zinses wächst und die in jedem Jahr abgebaute Menge mit konstanter Rate sinkt. Ein von rein ökonomischen Kriterien diktierter Umgang mit nichterneuerbaren Ressourcen führt demnach nicht zu einem hemmungslosen Raubbau. Diese zentrale Erkenntnis wurde nach dem US-amerikanischen Ökonomen Harold Hotelling als Hotelling-Regel bekannt. Ökonomisches Kalkül ist also — bei näherem Hinsehen wenig überraschend — das Gegenteil von Raubbau. Natürlich ist damit die prinzipielle Endlichkeit einer Ressource nicht aufgehoben.Die Hotelling-Regel macht außerdem auf eine ganz zentrale Voraussetzung für einen ökonomischen Umgang mit einer Ressource aufmerksam: der Existenz von Eigentumsrechten. Liegen diese nicht vor, so hat der Einzelne keinen Anreiz, einen sinnvollen Umgang damit zu betreiben. Klassische Beispiele dafür sind die Fischbestände der Weltmeere oder die frische Luft. Das Problem ist also eindeutig nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Ökonomie.Wachstum und UmweltNeben den nichterneuerbaren Ressourcen gibt es noch eine weitere scheinbar zwingende Grenze des Wachstums: unsere Umwelt ist nur endlich belastbar. Klimaveränderungen aufgrund von Treibhausgasen, die bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen oder aufgrund der Dezimierung der Regenwälder, sowie Luftverschmutzung und die Verschmutzung von Trinkwasservorräten sind hier nur die prominentesten einer beliebig verlängerbaren Liste von Beispielen. Die 1973 vorgelegte berühmte Studie des Club of Rome prognostizierte denn auch, dass die »absoluten Wachstumsgrenzen im Lauf der nächsten 100 Jahre erreicht« sein werden. Da absolute Obergrenzen von Umweltbelastungen genauso unbestreitbar sind wie die prinzipielle Endlichkeit bestimmter Rohstoffe — wenngleich eine Quantifizierung in beiden Fällen sehr schwierig sein mag —, besteht die einzige Möglichkeit für weiteres Wachstum in einer weniger umweltbelastenden Produktion. Ließe sich dieses Ziel erreichen, so würde auch die Umwelt keine zwingende langfristige Wachstumsbarriere darstellen.Inwieweit die Entwicklung zu einer geringeren Umweltintensität der agrarischen und industriellen Produktion möglich ist, muss empirisch entschieden werden. Zudem werden die Maßstäbe dafür auch nicht über alle Zeitperioden, Länder und Indikatoren von Umweltqualität hinweg gleich sein. Dennoch besteht hier durchaus Grund zu Optimismus: So ist zum Beispiel trotz steigender wirtschaftlicher Aktivität die Wasserqualität in Seen und Flüssen in den letzten Jahren wieder besser geworden. Aufschlussreich sind auch die über vier Jahrhunderte reichenden Daten in der folgenden Grafik. Hier werden die für frühere Zeitpunkte geschätzten Belastungen der Luft mit Schwefeldioxid und Rauch und die Zahl der nebligen Tage in London angegeben.Wie am Kurvenverlauf zu sehen ist, konnten die im Zuge der Industrialisierung zum Ende des 19. Jahrhunderts massiv gestiegenen Belastungungen drastisch reduziert werden — und dies nicht erst seit der politischen Artikulation eines stärkeren Umweltbewusstseins Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Wirtschaftswachstum ist, und das zeigen Beispiele wie diese, nicht notwendigerweise mit Umweltzerstörung verbunden, sondern kann auch mit einer Verbesserung der Umweltqualität einhergehen.Das Fazit der Überlegungen und Beispiele in diesem Abschnitt sollte nicht in dem Spannungsfeld zwischen Optimismus und Pessimismus gesucht werden. Es wurde eher gezeigt, dass es eine Gesellschaft und die Weltbevölkerung als Ganzes zu einem guten Teil selbst in der Hand haben, Belastungen der Umwelt zu vermeiden. Gerade in den reichen Ländern ist die Umweltsituation zumeist besser als in den ärmeren Ländern, und dies deutet auf eine wichtige Tatsache hin: Die Bereitschaft eines Staats, einen ökologischen Handlungsspielraum auszunutzen, nimmt mit wachsendem Wohlstand zu.»The ultimate resource«Dies ist der Titel einer Monographie des amerikanischen Ökonomen Julian Simon, der Wachstumspessimisten jeglicher Couleur mit Vehemenz entgegentritt. Seine optimistische Einschätzung beruht zum einen einfach auf der Beobachtung der positiven wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrhunderte, wobei er durchaus nicht nur die Wachstumserfolge der Industrieländer im Blick hat, sondern anhand vieler Indikatoren auch zeigt, wie sich die Lage in den meisten Entwicklungsländern verbessert hat — auch wenn sich die relative Position zu den Ländern der Ersten Welt verschlechtert haben mag. Für ihn gibt es keinen Grund anzunehmen, dass diese Entwicklung in absehbarer Zeit zu Ende geht. Aus Simons Sicht ist die einzige wirkliche Bedrohung für den Lebensstandard einer Volkswirtschaft der Krieg.Neben der einfachen Fortschreibung historischer Beobachtungen ist der zweite Pfeiler seiner Argumentation die Überzeugung, der Erfindungsreichtum der Menschen werde in der Lage sein, die anfallenden Probleme zu lösen. Deshalb sind die ultimative Ressource »ausgebildete, geistvolle und hoffnungsfrohe Menschen, die ihren Willen und ihre Vorstellungskraft zum eigenen Nutzen ausüben und dabei unvermeidbar nicht nur sich selbst, sondern uns allen helfen«, wie es Julian Simon im letzten Satz seines Buchs etwas pathetisch auf den Punkt bringt. Er wendet sich daher aus ökonomischen Gründen auch strikt gegen jegliche erzwungene Geburtenkontrolle, da seiner Ansicht nach viele Menschen auch viele Probleme lösen und daher ein größerer Wohlstand für alle resultiert. Für ihn fördert höheres Bevölkerungswachstum einen schnelleren technischen Fortschritt und damit Wachstum. Voraussetzung hierfür ist indes ein hohes Bildungsniveau und dies ist nicht gerade ein Freibrief für ein ungehindertes Bevölkerungswachstum in den Ländern, denen es nicht gelingt, dem Großteil ihrer derzeitigen Bevölkerung grundlegende Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben zu vermitteln.Prof. Dr. Jürgen JergerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Globalisierung und wirtschaftliche EntwicklungGrundlegende Informationen finden Sie unter:Wirtschaftswachstum: Zusammenspiel vieler FaktorenMeadows, Donella H. u. a.: Die neuen Grenzen des Wachstums. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe Reinbek 1998.Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, herausgegeben von Volker Hauff. Aus dem Englischen. Greven 1987.Weizsäcker, Ernst Ulrich von u. a.: Faktor Vier. Doppelter Wohlstand — halbierter Naturverbrauch. Der neue Bericht an den Club of Rome. Taschenbuchausgabe München 1997.
Universal-Lexikon. 2012.